Zu Hauptinhalt springen

Geschlechtergerechte Kommunikation bei IKEA – ein Interview mit Gesa Bürger und Anja Stähler

Für IKEA ist es wichtig, bewusst mit unserer Sprache umzugehen.

(09.07.2021) Mal ganz unter uns: Hast du einen Lieblingskollegen?

Und noch einmal unter uns: Kam dir der Name einer Kollegin in den Sinn? Wenn es so war, ist das schön – selbstverständlich ist es aber nicht. Trotzdem werden in der Alltagssprache oft mit der männlichen Form eines Wortes andere Geschlechter „mitgemeint“.

Warum es für IKEA wichtig ist, nicht nur mitzumeinen, sondern bewusst mit unserer Sprache umzugehen, und wie das praktisch aussieht, darüber sprachen wir mit zwei Menschen bei IKEA Deutschland: Gesa Bürger ist Equality, Diversity & Inclusion Leader, Anja Stähler ist als Localisation Specialist für die ganz besondere IKEA Sprache zuständig.

Gesa Bürger ist für Equality, Diversity & Inclusion bei IKEA Deutschland verantwortlich.

Was macht man/frau als Equality, Diversity & Inclusion Leader bei IKEA?

Gesa: Vor allem beschäftige ich mich mit Chancengleichheit und damit, Zugangsbeschränkungen für die Vielen abzubauen. Meine Kund*innen sind also sowohl die Mitarbeiter*innen als auch die Menschen, die bei IKEA einkaufen. Sie alle sollen IKEA so begegnen dürfen, wie sie sind. Auf Englisch heißt es so schön: „Bring your whole self to work“ – genau das ist es, was ich mit meiner Arbeit erreichen möchte und was mich jeden Tag anspornt. Eine große Rolle spielt dabei der Mehrwert von Vielfalt. Wenn wir die Vorteile von Vielfalt herausstellen, gehen wir darüber hinaus, bloß einen Zugang für die Vielen zu ermöglichen. Wir erkennen darin vielmehr auch einen notwendigen Beitrag für unser Geschäft. Vielfalt macht uns innovativer. Auch sind Unternehmen, die auf Vielfalt setzen, resilienter durch die aktuelle Coronakrise gekommen.

Chancengleichheit und Vielfalt voranzutreiben ist also dein Job – wie kann dir Sprache dabei helfen?

Gesa: Chancengleichheit geht über Teilhabe. Sprache ist ein Mittel, um Teilhabe und Gleichberechtigung herzustellen. Und das möchten wir auch mit unserer Unternehmenssprache erreichen.

Die IKEA Sprache ist eine ganz besondere – das sehen wir am „Hej“ zur Begrüßung und an unserer Du-Ansprache. Was steckt dahinter, dass wir bei IKEA so sprechen, wie wir sprechen?

Anja: Es gibt zwei Grundsätze, die unsere IKEA Sprache prägen. Zum einen sprechen wir die Vielen an – und wollen auch so sprechen wie die Vielen. Deswegen versuchen wir, möglichst unkompliziert in der Sprache zu sein, und orientieren uns am gesprochenen Wort. Zum anderen sprechen wir auf Augenhöhe, so, wie wir uns mit Freundinnen und Freunden unterhalten. In solch einem Umfeld wollen wir uns nicht mit umständlicher Sprache hervortun, sondern ehrlich, frei heraus, nicht „von oben herab“, sondern respektvoll miteinander reden.

Du bist Diplom-Anglistin, kannst außerdem Spanisch, Französisch, Italienisch, Schwedisch. Du verstehst, wie Sprache funktioniert und was sie kann. Warum ist geschlechtergerechte Sprache so ein wichtiges Thema?

Anja: Sprache ist immer Ausdruck davon, wie wir leben. Manches in dieser Welt sehen wir nicht, solange wir keine Worte dafür haben. Erst wenn wir Worte finden, können wir es beschreiben. Geschlechtergerechte Sprache ist für mich der Anfang solch einer Veränderung. Gesellschaft ändert sich mit der Sprache und Sprache ändert sich mit der Gesellschaft. Das passiert aber nicht automatisch gleich schnell. Frauen sollen heutzutage die gleichen Chancen im Beruf bekommen – trotzdem wird in Stellenausschreibungen oft ein Teamleiter oder ein Manager gesucht. Meine kleine Tochter und ich haben mal eine Dokumentation im Fernsehen geguckt und hinterher fragte sie mich: „Mama, dürfen Mädchen auch Archäologen werden?“. In der ganzen Doku wurde nämlich nur über den Archäologen, in der männlichen Form, gesprochen. Wenn sich Kinder die Frage stellen, ob sie etwas werden dürfen, weil sie sich nicht angesprochen fühlen, gibt es immer noch Handlungsbedarf.

Geschlechtergerechte Sprache klingt damit erst einmal nach einer tollen Sache. Warum gibt es dann aber Zweifel und Kritik von vielen Menschen, aber auch Institutionen?

Anja: Es stimmt, dass die Gesellschaft der deutschen Sprache und auch die Dudenredaktion bisher keine Empfehlung für die Umsetzung gendergerechter Sprache gegeben haben. Das liegt daran, dass beide nicht zur Aufgabe haben, Sprache zu formen, sondern zu dokumentieren. Aktuell werden Geschlechter über verschiedenste Wege sichtbar gemacht: mit einem Gender-Sternchen, einem Doppelpunkt, einem Binnen-I … Ein Bewusstsein ist geschaffen, aber noch kein Konsens gefunden. Finden wir eine einheitliche Form zum Gendern? Die Gesellschaft der deutschen Sprache und die Dudenredaktion sprechen sich nicht gegen gendergerechte Sprache aus, sondern sprechen (noch) keine Empfehlung aus, da es derzeit kein gesellschaftlich akzeptiertes Modell gibt. Es bleibt eine Herausforderung, dieses zu finden.

Anja Stähler ist als Localisation Specialist für die ganz besondere IKEA Sprache zuständig.
Sprache ist ein Mittel, um Teilhabe und Gleichberechtigung herzustellen.

Welche Herausforderungen gibt es im IKEA Alltag beim geschlechtergerechten Kommunizieren?

Gesa: Wir sind alle nicht geschlechtergerecht sprechend sozialisiert worden. Die Herausforderung ist es, im Alltag immer wieder darauf zu schauen: Wie kann ich inklusiv sprechen? Schreibe ich in einer E-Mail statt „Liebe Kollegen“ etwas anderes? Ersetze ich das Wort „Vorgesetzter“ lieber durch „Führungskraft“? In der Schriftsprache lässt sich das sehr gut steuern, denn ich kann noch einmal drüberlesen. In einem Gespräch ist das schon eine andere Sache – insbesondere im Kontakt zu Kund*innen.

Ziel ist es mit geschlechtergerechter Sprache ein Zeichen für Chancengleichheit zu setzen.

Anja, wie wird die gendergerechte Sprache denn jetzt bei IKEA praktisch umgesetzt? Schreiben wir nun überall Gendersternchen, und was gibt es beim Sprechen zu beachten?

Anja: Sprache ist etwas Kreatives. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir mit der Sprache spielen. Alles mit einem Sternchen zu versehen, macht unsere Texte total dröge und langweilig. Es gibt Situationen, in denen es sich nicht vermeiden lässt, beispielsweise wenn uns der Platz auf einem Poster in der Kommunikation mit Kund*innen ausgeht. Wenn wir aber ansonsten über unser Sprache nachdenken, wird ganz einfach aus dem „Teamleiter“ die „Teamleitung“ und aus dem „Eingang für Rollstuhlfahrer“ ein „rollstuhlgerechter Eingang“. Bei unseren Kund*innen haben wir einen Vorteil: Wir haben die Menschen vor uns und können sie fragen, wie sie angesprochen werden möchten. Damit kommunizieren wir auf Augenhöhe, im Sinne unserer Unternehmenswerte.

Das Ziel ist also klar: Die Vielen gerecht anzusprechen. Wie sieht der weitere Plan aus? Ab wann spricht IKEA 100 % geschlechtergerecht?

Gesa: In einer idealen Welt: ab sofort und überall (lacht). Wir sind alle gefordert, uns jeden Tag neu an das Ziel zu erinnern und uns zu hinterfragen, ob wir es umsetzen. Wir können auch mit Kolleg*innen vereinbaren, einander darauf hinzuweisen, Tipps einholen. Wir sind nun mittendrin, geschlechtergerechte Sprache über all unsere Kommunikationskanäle und -mittel bei IKEA auszuweiten und so immer mehr auch nach außen ein Zeichen zu setzen.

Danke, liebe Gesa, liebe Anja, für das Gespräch – und wir sind auf viele kreative Lösungen zur geschlechtergerechten Kommunikation bei IKEA gespannt!

Ihr möchtet mehr zum Thema Gleichberechtigung erfahren? Hier erfahrt ihr, warum die "gläserne Decke" nicht von alleine verschwinden wird.

Über die Autorin: Katharina Linnepe

Bei IKEA arbeite ich rund um Kommunikation: Übersetzungen, Lektorat, Pressearbeit und eben auch schöne, informative Artikel für unseren Unternehmensblog gehören dazu. Wenn ich aus dem Büro zurück nach Hause komme, zieht es mich wieder an den Schreibtisch, und zwar an den MALM Schreibtisch mit Ausziehplatte. So kann ich mich auch „über Eck“ ausbreiten und meinen kreativen Hobbys wie dem Schreiben und Nähen nachgehen. Für meine geheime Leidenschaft muss ich den Schreibtisch aber verlassen und zum nächstgelegenen Bahnhof: Ich liebe es, mit der Bahn unterwegs zu sein. Manchmal juckt es mich in den Fingern, spontan in irgendeinen Zug zu hüpfen und mich überraschen zu lassen, wohin er mich fährt. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir eine Welt voller Freigeister wünschen.